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Forschungsstrategie 2018+ (Fortschreibung 2020) [Deutsch]


Hrsg.: ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH

Dortmund 2020, 51 S.

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Die Stadt- und Raumentwicklung im frühen 21. Jahrhundert ist nicht nur durch die enorme Expansionsdynamik urban geprägter Räume, sondern auch durch die Vielgestaltigkeit des ökonomischen, sozialen und baulich-physischen Wandels historisch gewachsener Städte und Stadtregionen gekennzeichnet. Urbanisierung kann insofern nicht als ein einheitliches Phänomen angesehen werden, das universell replizierbare Formen des Städtischen hervorbringt, sondern eines, das in seiner jeweiligen (welt-)regionalen Ausprägung stark kontrastierende Resultate zeigt. Neben das Wachstum der Städte tritt ein nicht selten krisenhafter und konfliktreicher Reorganisations- und Restrukturierungsprozess, der sich in einem tiefgreifenden Wandel der ökonomischen, demografischen, sozialräumlichen und baulich-physischen Strukturen in städtisch geprägten Regionen äußert.

Mehr denn je ist die urbane Raumentwicklung durch diskontinuierliche, nicht-lineare sowie disparate Entwicklungen und innere Widersprüche geprägt, was die handelnden Akteure in Politik, Planung und Wirtschaft mit einem hohen Maß an Unbestimmtheit und Unvorhersehbarkeit konfrontiert. Ein besseres kausales Verständnis dieser Prozesse ist Voraussetzung für die Gestaltung lebenswerter nachhaltiger Städte und Stadträume. In diesem Sinne befasst sich das ILS mit der Entwicklung historisch gewachsener „gereifter“ urbaner Räume, die – bei anhaltender expansiver Grundtendenz – einer andauernden inneren Transformation unterliegen. Es ist unser übergeordnetes Forschungsziel, das Wechselverhältnis zwischen dem übergeordneten gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Wandel und den Veränderungen der baulich-physischen und sozialräumlichen Strukturen in Städten und Stadtregionen besser zu verstehen.

Aus planungswissenschaftlicher Perspektive kommt in diesem Zusammenhang der Gestaltungswirksamkeit politischen Handelns hervorgehobene Bedeutung zu. Gesellschaftliche Liberalisierung, ökonomische Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Güter und Dienstleistungen haben die institutionellen Rahmenbedingungen des politischen und planerischen Handelns nachhaltig überformt. Das äußert sich in veränderten Akteurs- und Governance-Arrangements und einem Wandel der Planungskultur. Stadt- und Regionalplanung agiert heute stärker als früher wachstums- und wettbewerbsorientiert. Zugleich haben diskursive, nicht-hierarchische Steuerungsformen, die auf kollektive Selbststeuerung zielen, an Bedeutung gewonnen. Die Beantwortung der Fragen, in welchem Maße dies Handlungsweisen und Steuerungsfähigkeiten städtischer Akteure verändert hat und wie sich dies auf Prozesse des „Machens von Stadt“ insgesamt auswirkt, ist ein weiteres zentrales Erkenntnisziel unserer Stadtforschung.

Ausgehend von diesen Leitzielen schreibt die vorliegende Forschungsstrategie 2018+ die längerfristigen Forschungsperspektiven des ILS fort. Es werden thematische Korridore für die kommenden Jahre abgesteckt und eine epistemologische Standortbestimmung vorgenommen. Das Institut nimmt sich der Vielgestaltigkeit des urbanen Wandels aus international vergleichender Perspektive an. „Think the urban through the diversity of urban experiences“ – mit diesem Satz hat Jennifer Robinson den Anspruch an neuere Theoriebildung und damit korrespondierende Empirie kürzlich treffend zum Ausdruck gebracht. Eine offene, reflexive und revisionsbereite Kultur theoretischer und empirischer Auseinandersetzung setzt räumliche Öffnung im Sinne eines Interesses an Stadtentwicklung in verschiedenen Weltregionen voraus. Das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten und Diversität in urbanen Entwicklungen an verschiedenen Orten unter größtmöglicher Sensibilität gegenüber den jeweilig wirksamen Kontextbedingungen kann als Auftrag wie Ethos einer kosmopolitisch agierenden vergleichenden Forschung bezeichnet werden.

Ein weiteres wichtiges Anliegen der Stadtforschung im ILS ist die Integration von Regional-, Stadt- und Städtebauforschung, die sich historisch in unterschiedlichen disziplinären Kontexten entwickelt und zum Teil wenig Bezüge zueinander hergestellt hat. Dies impliziert nicht nur einen interdisziplinären Brückenschlag zwischen ökonomischer Regionalforschung, sozial- und planungswissenschaftlicher Stadtforschung und städtebaulicher Forschung, sondern auch eine konsequente „Multi-Level“-Perspektive, mit der urbaner Wandel empirisch adressiert wird. Das bedeutet, die verschiedenen territorialen Ebenen, auf denen sozioökonomische oder bauliche Veränderungen untersucht werden, in ihren relationalen Bezügen, ihren wechselseitigen Abhängigkeiten, ihren Widersprüchen oder auch Synergien, zu thematisieren.

Die vorliegende Fortschreibung der Forschungsstrategie „2018+“ formuliert drei Forschungsschwerpunkte, die in den kommenden Jahren durch eigen- und drittmittelfinanzierte Forschungsvorhaben bearbeitet werden sollen:

Mit der in dieser fortgeschriebenen Forschungsstrategie vorgenommenen thematischen Fokussierung von vormals vier auf nunmehr drei Forschungsschwerpunkte verbindet sich das Ziel einer inhaltlichen Straffung unserer Forschungen zur Mobilität und Raumentwicklung. Die früheren Forschungsschwerpunkte „Raumentwicklung und neue Arbeitswelten“ sowie „Transformation urbaner Mobilität“ wurden thematisch integriert. Der neue Schwerpunkt „Transformation urbaner Räume und Mobilitäten“ befasst sich mit Prozessen der standortbezogenen Mobilität von privaten Haushalten und Unternehmen und den Wechselwirkungen mit Vorgängen der Alltagsmobilität und Logistik. Aber auch die beiden weiteren Forschungsschwerpunkte wurden im Fortschreibungsprozess konzeptionell weiterentwickelt. Dazu dienten auch Workshops mit externen Expertinnen und Experten Ende 2018 und Anfang 2019.

Mit dieser Fokussierung werden neue thematische Impulse gesetzt, zugleich aber Kontinuität in Themengebieten gewahrt, in denen das ILS seit langem etabliert ist. Ein zentraler Anspruch ist das Aufgreifen internationaler Debatten und die Forschung in internationalen Forschungsnetzwerken und vergleichend angelegten Forschungsdesigns. Eine in diesem Sinne international orientierte und sichtbare Stadtforschung bedarf aber weiterhin einer starken regionalen Verankerung. Das ILS verortet sich in der raumwissenschaftlichen Stadtforschung, die als anwendungsorientierte Grundlagenforschung praktiziert wird. Wir bekennen uns auch zukünftig zu unserer Rolle als Diskussionspartner und Impulsgeber für Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit in nationalen und regionalen Zusammenhängen. Letzteres bringt auch neue Formate transdisziplinärer Forschung mit sich. Die Gestaltung von nachhaltigen und sozial inklusiven Städten kann nur in Zusammenarbeit von Wissenschaft, Kommunen und Akteuren aus der Gesellschaft gelingen. Damit verbunden sind u. a. neue Formen von kollaborativen Projekten, in denen Wissenschaft und Praxispartner gleichberechtigt agieren. Unsere Beiträge zur Lösung stadtgesellschaftlicher und -räumlicher Probleme fußen aber stets auf erkenntnisorientierter Grundlagenforschung.




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