Veröffentlicht am: 8. Juli 2025

Migrationsquoten sind das falsche Instrument

In den vergangenen Tagen wird die Einführung einer „Migrationsquote“ an Schulen in Deutschland diskutiert. Was als einfache Lösung verkauft wird, ist weder umsetzbar noch zielführend – und lenkt vom Kern des Problems ab: von Defiziten und Ungerechtigkeiten im deutschen Bildungssystem.

„Wer mehr soziale und ethnische Mischung an Schulen will, kann diese nicht einfach per Quote verordnen“, erläutert ILS-Wissenschaftlerin Dr. Isabel Ramos Lobato, die die Entstehung von Schulsegregation erforscht. Schulsegregation, also die ungleiche Verteilung von Kindern mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen, hat ganz unterschiedliche, mitunter komplexe Ursachen. Die zunehmende Segregation von Wohnvierteln spielt eine Rolle, aber auch das selektive Schulwahlverhalten von Eltern aus der Mittelschicht, die genau wissen, wie sie ihren Kindern einen Platz einer vermeintlich ‚guten‘ Schule verschaffen. Hinzu kommen institutionelle Regelungen wie Aufnahmekriterien, etwa bei öffentlich geförderten konfessionellen Schulen oder Schulangebote, die exkludierend wirken können, etwa teure Ausflüge.

„Wer Segregation entgegenwirken will, müsste also zum einen für mehr Mischung in den Wohnvierteln sorgen, aber vor allem die Möglichkeiten für Eltern einschränken, die Schule selbst zu wählen“, so Ramos Lobato. Zum Beispiel könnten Schulanmeldungen zentral gesteuert und die Einzugsbereiche angepasst werden – alles Maßnahmen, die bislang am Widerstand genau jener Eltern scheitern, die sich oft am lautesten über Schulen mit einem geringen Anteil an Deutsch-Muttersprachlern beschweren: Eltern aus der eher begüterten Mittelschicht. Und noch etwas wird oft vergessen: Kinder mit Migrationshintergrund sind keine homogene Gruppe.

Mischung ist zudem kein Selbstläufer. Die Forschung zeigt, dass in sozial oder ethno-kulturell gemischten Schulen nicht automatisch mehr Zusammenhalt entsteht. Es kann auch zu Spannungen und Ausgrenzung kommen, zum Teil zu segregierten Schulklassen – nicht selten meiden ressourcenschwächere Eltern deshalb bewusst die vermeintlich ‚besseren‘ Schulen.

Anstatt über wirksame Rezepte gegen Bildungsbenachteiligung zu diskutieren, blendet die aktuelle Debatte und die damit einhergehende pauschale Problematisierung der sehr heterogenen Gruppe „Kinder mit Migrationshintergrund“ strukturelle Ursachen von Bildungsungleichheit komplett aus: den mitunter dramatischen Mangel an Lehrer*innen und Kitaplätzen, die unzureichende Nachmittagsbetreuung sowie ein System, das in hohem Maße auf die Mitwirkung der Eltern angewiesen ist – und damit Ungleichheit immer wieder reproduziert.

„Statt Symbolpolitik brauchen wir eine entschlossenere Umverteilung von Ressourcen. Nur so können Schulen alle Kinder bestmöglich fördern“, so Ramos Lobatos Fazit.

Weiterführende Veröffentlichungen

Ramos Lobato, Isabel; Groos, Thomas (2019): Choice as a duty? The abolition of primary school catchment areas in North Rhine-Westphalia/Germany and its impact on parent choice strategies. In: Urban Studies 56, 15, 3274–3291. https://doi.org/10.1177/0042098018814456.

Ramos Lobato, Isabel (2023): Soziale Entmischung in der Grundschule – Wie die Wahl der Eltern Segregation verstärkt. Unter Mitarbeit von Wettlaufer, Andreas; Farwick, Andreas; Hanhörster, Heike. ILS-Trends 03/2023. Dortmund. https://doi.org/10.58122/b0hj-cn55.

Hanhörster, Heike; Lobato, Isabel (2025): Segregation an Grundschulen: Strukturen und Praktiken institutioneller Diskriminierung. In: Berichte. Geographie und Landeskunde 98, 2/3, 160–185. https://doi.org/10.25162/bgl-2025-0013.

Aktualisiert am: 8. Juli 2025